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Fünf Tage – oder die Hot-Dog-Orchidee

Mittwoch

Die Eisenbahn schraubt sich langsam wieder von der Kanalbrücke in einer Schleife auf Rendsburg hinab. Das Wetter ist mäßig und windig, wir nehmen den Bus zum dänischen Holm: niedrige Fenster, Efeu, kleine Vorgartenzäune begrenzen das Kopfsteinpflaster. Von dort zu Fuß der Weg zurück in die Stadt, der Seesack drückt allmählich die Schultern durch. Aber André weiß ja immer den Weg. Zumindest hofft man das. Trotzdem erreichen wir das Bootshaus der Domschüler.

Schleswig ist wie ein Hot Dog, die Schlei das Würstchen in der Mitte. Wir wollen die Förde bis ans Meer rudern. Zuvor wird die nördliche Brötchenhälfte verspeist. Der Dom als erster. Dessen Harmonie aus romanisch-dänischem, erdverwachsenem Backstein und einem lastenden Walmdach wird vom preußischen erhobenen Zeigefinger eines filigranen, pseudogotischen Kirchturmes zerstört. Schloß Gottorf hat sein schlichtes, weißes Renaissancevierkant, umgeben von Enten, Sumpf und Schilf ein wenig ab von der Stadt, erhalten. Hier haben die Dänen einmal Schleswig-Holstein regiert. Der Zeigefinger war wohl die spätere Rache der borussischen Bratkartoffeln. Gegenüber im Stile der 70er Jahre, die Honigwaben eines weiteren Phallus, des Wikingerturmes. Es will regnen doch bis auf drei Tropfen passiert nichts.

Donnerstag

Heute ist das Hot-Dog-Würstchen dran. Nur echt mit dänischem Senf. Den treibt der heftige Wind in weißen Schaumkronen über das kabbelige Wasser. Wir halten uns im Windschatten. Die Schlei ist hier klein und breit, die Verdickung die Schmetterlingsblüte einer Orchidee, ehe ein langer Stiel in der Ostsee wurzelt.

Ihr Stempel ist ein Wurmfortsatz, das Haddebyer und Selker Noor. Noore stehen als Lagunen mit der Schlei in schmaler Verbindung. Hier lag die Handelsstadt Haithabu erbaut, um die gefährliche Passage um Kap Skagen von der Nord- zur Ostsee zu vermeiden. Zwischen dem Oberlauf der Treene und dem Stempel der Orchideenblüte waren es nur 15 km Landtransport. Die Wikinger fuhren 32er mit Steuermann (32+). Wie das Boot, welches sie im Moor von Niddam versenkt hatten. Keine Ahnung, wie der Steuermann seine Mannschaft angebrüllt hat: „Schlag achten!“ Mein Lieblingskommando. Heute schiebt sich nur noch der mächtige Erdwall in die Landschaft, der Haithabu einmal ummauert hat. Ein paar Hütten sind als Museum wieder aufgebaut. Schilfdächer, Lehmfachwerk, und graue, ungebeizte Holzbalken. Als sich zur munter brüllenden Klassenausflugshorde ein orientierungsloser Rentnerbus gesellt, ist es für uns an der Zeit zu flüchten.

Wieder auf der Kleinen Breite werden unsere Seegigs von den Wellen ordentlich zusammengeschüttelt. Wir halten auf Reesholm zu. Die Halbinsel zwischen der Kleinen und der Großen Breite steht unter Naturschutz: Betreten verboten! Ob das auch für Gekenterte gilt? Wir retten uns in die Füsinger Au, ein tief eingeschnittenes Flüßchen und atmen aus. Und auf dem Rückweg das gleiche noch einmal? Bis endlich der Regen kommt und wir uns ins Gebüsch verziehen. Ob wir schnell noch in ein Eiscafé einkehren? „Ja“, sagt man uns, „das nächste befindet sich acht Kilometer entfernt in Schleswig.“ Zurück zur Kleinen Breite. Auf spiegelglattem Wasser gleiten wir zurück in die Stadt. Kommt erst Wind und dann Regen, kannst Du dich ruhig schlafen legen.

Freitag

Das Wetter bessert sich definitiv. Am Abend werde ich einen Sonnenbrand haben. Hinter der Kleinen folgt die Große Breite. Die Wellen von gestern haben uns Respekt eingeflößt, und so trauen wir uns nicht, das windausgesetzte Ostufer auszufahren. Stattdessen halten wir gerade über den „See“ nach Missunde, wo die drei Kilometer Wasser in der Breite auf 75 m zusammengepreßt werden.

Wir steigen zum Mittagessen naß aus. Ich habe meine Badelatschen vergessen, stake mit nackten Füßen zur Wiese auf eine Wespe, die Wespe sticht, ich stake zurück ins Wasser. Die Kälte des Wassers ist stärker als das Zwiebeln des Giftes. Coches Vakuumpumpe für solche und alle Fälle ist nicht so schnell bei der Hand, das Gift bleibt im Fuß.

Ab Missunde ändert sich die Landschaft. Die Förde wird schmal und Hügel drücken sich ans Ufer. Die wenigen Straßen führen die wenigen Dörfer vom Wasser weg und drücken sie in die Moränen. Kleine Wälder schützen unsere Einsamkeit vor der Besiedlung. Und immer wieder Noore, die sich wie die Kokons von Raupen am Orchideenstiel festgefressen haben. So bleibt das über Lindaunis hinaus. Dahinter machen wir auf einer Wiese Rast. Jungbullen fliehen den Hügel hinauf. Dahinter beginnt das Kilometerzählen bis Kappeln. Vielleicht wäre eine Zwischenübernachtung in Missunde besser gewesen.

Kappeln ist Fisch. Auf der Anhöhe, auf der das Städtchen erbaut ist, erheben sich drei Schornsteine mit den Buchstaben A, A und L. Der Fluß ist voller Fischernetze, Stolperfallen für unsere Boote, ihre Signalbojen, schwarz mit schwarzem Fähnchen perfekt getarnt. Die größte derartige Anlage steht unter dem Schutz der UNESCO: Zwei Knüppelreihen laufen in der Schlei auf eine Trichter zu und fischen so die Heringe ab. Früher einmal war die Förde voll davon. Wir rudern unter der kappelner Klappbrücke her. Die alte Fachwerkständerkonstruktion gibt es nicht mehr, sondern ist der perfekten, weißen Eleganz postmoderner Stadtverkehrsentwicklung zum Opfer gefallen.

Beim RV Kappeln begrüßt uns Ömchen. Herrin über den dortigen Yachthafen klärt sie Coche über die adäquate Länge von Männerhaar auf und mich darüber, daß wegen der Geburtstagsgesellschaft im Nebenraum des Bootshauses eine Nutzung der Küche unmöglich sei. Und daß wir eigentlich in ihrem Bootshaus nichts zu suchen hätten. Und wer denn der Idiot sei, der das Gepäck da auf dem Rasen zwischengeparkt habe. Konstaniert rufe ich die Rudervereinsvorsitzende an. Am nächsten Tag ist Ömchen lieb zu uns. Coche darf seine Haarpracht behalten.

Samstag

Nach der Orchideenblüte und ihrem Stiel geht es heute an die Wurzel, ans Meer. Die Schlei zerfasert sich in zahlreichen, bis zu vier Kilometer breiten Nooren. Die Hügel sind völlig verschwunden und die Ufer nur noch ein dünner Strich am Horizont. Ich genieße das Gefühl der Gefahr, als ein an und für sich mäßiger Wind in dem meist kaum hüfttiefen Wasser die Wellen hochschaukelt und die Armada einer Traditionsseglerregatta voranschiebt, uns hintendrein. Von der Fahrrinne abzuweichen, mehr unter Land zu fahren, verbieten nach erfolgter Grundberührung die bis knapp an die Wasseroberfläche reichenden Felsen.

Ich halte auf die einzige Vertikale dieser Landschaft zu, und bald legen wir am Strand von Schleimünde an. Kein mondänes Seebad, sondern ein kleiner Leuchtturm, ein Restaurant, welche nur auf dem Wasserwege erreichbar sind. Der Landweg ist durch die Oehe versperrt. Die Halbinsel besteht aus einer Düne zur Ostsee hin, ein Wacholderdickicht, das in einer flachen Wiese zur Schlei hin zerlappt und dem Vogelschutz dient. Das obligatorische Bad im Meer. Wir haben es bis zur Ostsee geschafft. Ein Fischbrötchen in Maasholm, einem Fischerdörfchen auf einer weiteren Halbinsel auf dem Rückweg, drei Kilometer in die Noore hinein. Der Himmel ist ruhig und diesig, der Ort nur schwer sichtbar zwischen dem Hellgrau des Wassers und den dunkelgrauen Strichen der Landzungen. Zurück müssen die Traditionssegler gegen den Wind motoren, sie machen vier Knoten, und wir holen einen nach dem anderen ein.

Sonntag

Wir rudern nach Schleswig zurück, den gleichen Weg wie auf der Hinfahrt. Kurz hinter Kappeln liegt Arnis. Einige Fischer Kappelns hatten genug von der Gängelung des Magistrates und fünf Kilometer weiter südlich ein Konkurrenzunternehmen aufgezogen. Doch wie so häufig verendete auch dieses in einem Idyll. Ein Dorf mit Stadtrechten. Alle Häuser Arnissens liegen an einer Straße. Bemalte Tonscherben grüßen den Besucher: „Hier wohnt Familie...“ Um den mit graugewittertem Holz verkleideten Kirchturm liegen nach wie vor die Toten im Rund, von keiner Hygieneverordnung vertrieben. Eine Behinderteneinrichtung veranstaltet einen Flohmarkt auf dem gezackten Waschbetonpflaster einer Hofeinfahrt. Ansonsten schläft Arnis. Später versammeln sich Schlips und Kragen vor dem Glockengeläut.

Ansonsten ist der September sommerlich warm, der Gegenwind anstrengend, wir rasten im Schilf, die lindaunisser Eisenbahnbrücke ist hochgeklappt, rage steil aufrecht in die Höhe wie ein L und ruht auf dem kurzen Ende seiner Widerlager. Ulrich ist euphorisch. Ich bin depressiv, als wir Schleswig erreicht haben. Weil jetzt die Spannung sich auflöst, und wir dösen auf der Autobahn nach Hamburg. Dort wartet der Arbeitsalltag, doch in Gedanken bin ich bereits bei der nächsten Wanderfahrt.

André Gesche

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