Dreisatz: 1 Fliegender Hamburger benötigte von Berlin nach Hamburg einst 138 Minuten für 286 Gleiskilometer. Wie lange brauchen im Jahre 2021 6 rudernde Hamburger für 400 Flusskilometer zwischen Wannsee und Hamburg-Veddel? Wir werden sehen.
Gestartet wird nach Bootstransporttagen und einigen Proberunden auf Potsdamer Gewässern am Dienstag, dem 24. August, am freundlichen Potsdamer Ruderclub Germania, der uns in den letzten Tagen Quartier und ein Sommerfest geboten hat. Mit dabei sind Fahrtenleiter Rüdiger, Holger, Thomas, Doppel-Ulrich und der Verfasser. Silke machte sich als Landdienst bei Einkauf und Quartiermachen ebenso nützlich wie beliebt, und auch Skalli und Frigga tun, was sie können, um zum Gelingen der Tour beizutragen.
Der Zeitpunkt ist günstig gewählt. Im letzten Jahr musste die Fahrt noch Corona-bedingt abgesagt werden, aber jetzt hat das Virus seine sommerliche Schwächephase, und die ganze Mannschaft ist inzwischen doppelt geimpft.
1. Teil: Havel bis Havelberg
Der Havel, mit 334 km Länge längster rechtsseitiger Nebenfluss der Elbe und in weiten Teilen mehr Seenkette als Fluss, werden wir in der ersten Woche bis Havelberg folgen, wo zur Elbe gewechselt wird, und wo unsere Mannschaft von zwei frischen Rudernden teilerneuert wird
Wir erreichen sie über den kleinen Wannsee samt Griebnitzkanal und -see an der Glienicker Brücke, die wir eigentlich nicht durchfahren müssen. Deshalb tun wir es in einer Art doppelter Verneinung gleich zweimal, wenden uns dann aber südwestlich Richtung Potsdam, an dessen Uferpromenade wir kurz pausieren, um anschließend dem Templiner See zuzustreben.
Hier an der Pirschheide waren wir früher schon einmal, und so begrüßen wir alte Bekannte: Caputh (ohne Besuch des Einsteinhauses), eine Ecke vom Schwielowsee (der ruhig blieb) und auf einem Werder die Stadt Werder mit ihrem Ruderclub.
Noch einmal rudern, und dann der erste Ruhetag. Nur einmal werden wir behindert von einem Schiff mit gelbem Warnlicht, welches in amtlicher Mission den ganzen See auf regelmäßigem Kurs befährt und vor seinem Bug keine Ruderboote dulden will. Großzügig geben wir nach und beeilen uns, Richtung Brandenburg voranzukommen.
Die Stadt ist von einem Geflecht verschiedener Flußarme, Gräben und Kanäle durchzogen. Eine Bootsschleppe am Mühlendamm ist für Ruderboote ungeeignet, so dass wir die Route über den Stadtkanal mit der Schleuse wählen, um dann zurück Richtung Ruderclub Havel zu fahren, wo größere Vereinsgebäude, Gastronomie und zum Nächtigen einfache, sanitärfreie Bungalowarchitektur auf uns warten.
Das geschichtsträchtige Brandenburg kann am Ruhetag viel Stoff für einen Stadtrundgang bieten. Die historische Dominsel ist dabei besonders sehenswert, und über den größten Sohn der Stadt stolpert man allenthalben, denn der einst scheue Waldmops breitet sich immer mehr aus, wird vielerorts zur Plage, und es wird wohl nicht lange dauern bis einzelne Problemtiere dem Bestand entnommen werden müssen.
Am nächsten Tag ist vor allem der Himmel über der Brandenburgischen Landschaft beeindruckend. Und so genießen wir die kurze Etappe über Breitlingsee und Plauer See unter mächtigem Gewölk mit gedämpftem Sonnenschein. Plaue selber bietet wenig Gastronomie, aber frisch geräucherter heimischer Fisch macht den Abend zu einem kulinarischen Höhepunkt der Fahrt.
Die Kahnschleuse von Bahnitz muss als Hauptattraktion des folgenden Tages gesehen werden. Viel wird in Selbstbedienung gekurbelt, und nebenbei lernen wir noch einiges über den Ausbau der Unteren Havel-Wasserstraße und die Besonderheiten von Nadel- und Schlauchwehren. Am Abend erreichen wir Rathenow mit seinem geräumigen Bootshaus, wo wir das Glück haben, von den reichen Resten einer kleinen Grillfeier profitieren zu können. Rudern, Essen, Schlafen: alles dabei in Rathenow. Und der Ort selber ist wahrscheinlich auch gar nicht so dösig.
Ich habe vergessen, wann am nächsten Tag der Regen einsetzt. Möglicherweise nieselt es schon länger während der Fahrt, aber gegen den Starkregen bei der Ankunft in Havelberg tritt alles andere zurück. Auch die Müllbeutel zum Schutz der Schuhe helfen nicht mehr, und auch Stefan und Katrin, die zur zweiten Ruderwoche angereist sind, erinnern sich, was den Reiz dieser Freizeitbeschäftigung ausmacht: das Trocknen, Duschen und Aufwärmen nach dem Großen Regen. Thomas und Holger werden hier - noch leicht feucht - nach Hause entlassen.
2. Teil: Elbe ab Havelberg
In Havelberg befinden wir uns erstaunlicherweise unter Elbniveau, müssen also hochgeschleust werden, um anschließend erstmals auf dieser Tour ein einigermaßen ansehnliches Gefälle zu erleben. Das Hauptwasser der Havel fließt derweil künstlich reguliert parallel weiter und erreicht erst nach dem Gnevsdorfer Vorfluter die dort bereits niedriger liegende Elbe. Wir aber genießen den großen Strom und freuen uns an der Einsamkeit. Wochenlang begegnen wir keinem Menschen, keinem Schiff oder Kahn, bis wir am Abend des 12. Oktober 1492 erst Möwengeschrei hören und bald darauf eine kleine Insel erreichen, die von den Eingeborenen Guanahani genannt wird --- Der Anblick von Wittenberge reißt uns aus unseren Karibikträumen, und nur die Pension heißt tatsächlich "Zur Möwe".
Wir befinden uns weiter in naturnaher Kulturlandschaft diverser Biosphärenreservate und würden Flora und Fauna bewundern können, würden wir nicht viel zu schnell vorbeigetrieben an Seeadlern auf Buhnen und Elbe-Spitzkletten am Ufer. Wir erreichen Schnackenburg so zeitig, dass wir noch einen Abstecher in den Aland machen können. Die Wasserlinsengrütze wird immer dicker, wir denken natürlich an die Sargassosee und machen bald kehrt, um in der alten Schule in Schnackenburg, die inzwischen vor allem bei Radreisenden zu einer beliebten Unterkunft geworden ist, unser Quartier zu nehmen. Der Ort ist so idyllisch, dass wir wohl hungrig ins Bett gestiegen wären, hätte es nicht in der Pension das Angebot eines Grill- und Salat-Buffets gegeben.
Wir befinden uns jetzt in dem Abschnitt, wo die Elbe bzw. ihr rechtes Ufer die innerdeutsche Grenze bildete. Die linke Seite wird allmählich hügeliger, die 76 Meter hohe Geestinsel des Höhbeck wird passiert, und aus der Ferne die Flachlandfestung Dömitz bewundert. Bald darauf soll Hitzacker angesteuert werde. Kleine Unschärfen im Jübermann machen dies spannender als gedacht, aber am Ende gelangen wir doch in die Alte Jeetzel zum Sportboothafen.
Auch idyllisch, aber doch lebendiger als Schnackenburg, kann man in Hitzacker durchaus einen Ruhetag verbringen und ein Museum besuchen, die Elbe angucken, den Weinberg besteigen, die Elbe von oben angucken und schließlich den Tag im Restaurant Waldfrieden ausklingen lassen.
Allmählich belebt sich auch das Wasser wieder mit einzelnen Sportbooten. Am Strand hinter Bleckede wird unser kleines Boot von der Bugwelle einer dieser Heimsuchungen der Binnengewässer tsunamiartig versenkt. Fast. Gefühlt. Immerhin. Als wir auch am rechten Ufer erste Hügel erkennen, wissen wir, daß Lauenburg nah ist. Wir rudern an der ganzen Stadt vorbei, bevor schließlich der Steg der Lauenburger Rudergesellschaft erreicht wird. Dass dort später das Vereinsjubiläum fröhlich-feierlich begangen werden wird, lässt sich noch nicht erkennen. Man isst hier recht gut, und nach Ende der Feierlichkeiten dringt endlich auch in unseren Schlafraum kein Hauch der aufgeregten Zeit.
Wir sind inzwischen schon fast im Heimatrevier angekommen. Nur noch schnell durch die Geesthachter Schleuse und dann gemütlich am Stover Strand den Tidenwechsel abwarten, bevor wir mit Strom und ohne Gegenwind schneller als gedacht dem Bootshaus zu rudern. Die Boote werden provisorisch verstaut und die finale Pflege und Nachsorge auf morgen vertagt. Und lange schallt's im Bootshaus noch: Fahrtenleiter lebe hoch!
(Wir haben - ohne Ruhetage - 10 Tage gebraucht und der Fliegende Hamburger is all lang dor. )
Martin Meyer-Wyk
|