Wir reisten am Donnerstag vor Pfingsten in verschiedenen Fernzügen der Dänischen Staatsbahnen an (die mit den markanten schwarzen Gummiwülsten an beiden Enden der Wagen). André war schon frühmorgens vorgefahren, um die organisatorischen Fragen mit den Offiziellen des gediegenen Københavns Roklub zu besprechen. Christina, Rüdiger, Stefan und ich (Jochen) nahmen uns nach unserer Ankunft am frühen Nachmittag am Kopenhagener Bahnhof ein Taxi. Der Fahrer nutzte unsere Ortsunkenntnis und ein großes Stadtteilfest in Vesterbro, um einen riesigen Umweg mit uns zu fahren. Holger lief nach seiner Ankunft spät am Abend die nicht sonderlich schöne Strecke entlang einer viel befahrenen Straße zu Fuß. Den Anreisetag nutzten einige von uns noch zur Stadtbesichtigung inklusive imposanter neugotischer Kirche.
Der Københavns Roklub liegt an der Nelson Mandela Allee in einem der schicken Wohnviertel, die rund um das alte Hafengebiet des Sydhavnen in den vergangenen Jahren neu gebaut wurden. Wir übernachteten im großzügigen Gymnastikraum des neuen Anbaus des dunkelroten Bootshauses des Traditionsklubs von 1866 auf unseren Isomatten.
Wir liehen uns für das lange Pfingstwochenende zwei Inrigger aus. Das sind extra breite Gigboote, die durch ihre Bauart besonders gut zum Rudern in küstennahen Gewässern geeignet sind. In diesen Booten kann man vom Steuerplatz aus prima nach vorne gucken, denn die beiden Riemenruderplätze liegen rechts und links vom Kiel. Der halbstündliche Wechsel erfordert umso mehr Koordination von allen Beteiligten, damit das Boot im Gleichgewicht bleibt. Aus versicherungsrechtlichen Gründen ist für das Ausleihen von Inriggern in Dänemark Voraussetzung, dass in jedem Boot jemand mitfährt, der den dänischen Kurs für Wanderruderobleute (langtursstyrmænds) besucht hat. Im Herbst 2023 wird es wohl nach vorläufigen Informationen nach langer Zeit mal wieder einen Kurs in deutscher Sprache geben.
Am Freitagmorgen war das Wetter verhangen und windig. Die Wanderruderfahrt begann. Wir fuhren durch den Südhafen und durchquerten Dänemarks einzige Schleuse. Über das breite Schleusentor ohne Geländer fuhren Fahrräder im Begegnungsverkehr. Mittlerweile hatte sich die Landschaft verändert. Statt Häusern säumte nun das Naherholungsgebiet Kalvebod Fælled das östliche Ufer. Hinter einer Autobahnbrücke weitete sich nach Westen die Køge Bugt und der Wind erhielt mehr Angriffsfläche. Dort steht am Ufer das riesige Avedøre Kraftvarmeværk mit einer markanten Gestaltung - moderne Industriearchitektur in Form asymmetrischer Prismen - weithin sichtbar als Landmarke.
Wir setzten zur Umrundung der Südspitze von Amager an. Dafür mussten wir uns durch die Wellen kämpfen und recht weit vom Ufer entfernen, da immer wieder Fischreusen vom Ufer ins Meer an langen Pfählen gespannt waren und uns den direkten Weg versperrten. Die Wellen kamen in einer für die Ostsee typischen Abfolgen von zwei bis drei großen Wellen, für die man den Kurs ändern musste, und fünf bis sieben kleineren Wellen, durch die man Strecke machen konnte. Die Innenrigger haben einen sogenannten Bananenkiel zum Durchschneiden der Wellen. Er ermöglicht, dass das breite Boot sich wieder zurecht schlingert und dadurch recht stabil im Wasser liegt. Dabei darf man nur das Steuer nicht allzu straff festhalten, um dem Boot die Ausgleichsbewegungen zu gestatten.
Die Aussicht vom Boot aus auf das offene Meer ist ein wunderschöner und unvergesslicher Eindruck. Ich hatte zudem zweimal das Glück, von Robben aus ihren dunklen Knopfaugen neugierig begutachtet zu werden. Sie tauchen schnell und unerwartet zwischen den Wellenbergen auf und auch gleich wieder ab. So hinterlassen die Tiere die Begegnungen mit ihnen als weitgehend individuelle Erlebnisse und liefern somit Stoff für Seemannsgarn und lange Winterabende.
Vor der endgültigen Umrundung der Südspitze Amagers tasteten wir uns noch in die sehr flache und bei Kitesurfern beliebte Badebucht Sydvestpynten vor, an deren Strand wir auf einem gefällten Baumstamm rasteten. In den Untiefen liegen verstreut große Gesteinsbrocken/Riffe. Die meisten sind mit bunten Bällen markiert, wenn sie nicht allzu offensichtlich aus dem Wasser ragen. Allerdings schaffen die Wellen einen unübersichtlichen Graubereich, wo Steuerleute sich besser zusätzlich auf Peilung und Karte sowie die Hinweise von Ortskundigen verlassen sollten. An der Spitze Amagers liegt ein großes militärisches Sperrgebiet, von dessen Küste man zusätzlich Abstand halten muss.
Wir rätselten in unserem Boot etwas, welche Orte wir denn schon passiert hatten. Erst kommt Søvang, dann folgt das Südende Dragørs und zuletzt umschifften wir das stark befestigte Fort und die Häfen Dragørs, um dahinter schließlich in der südlichen Ecke der Bucht vor dem nördlichen Teil Dragørs den Dragør Roclub anzulaufen. Das Wetter klarte auf und wir erlebten eine zweite Tageshälfte mit strahlend blauem Himmel und wärmender Sonne. Einige Mutige unter uns gingen im ziemlich kalten Wasser nachmittags noch baden. Dragør ist ein ehemaliges Fischerdörfchen mit gelben Häusern mit malerischen Stockrosen und verwinkelten Gassen mit Kopfsteinpflaster, aus denen der Autoverkehr schon vor Jahrzehnten sinnvollerweise verbannt wurde. Es ist das Kampen Dänemarks: Hier sind die Immobilienpreise die höchsten Dänemarks.
Wir schlugen unser Lager im Gemeinschaftsraum des Ruderklubs unter dem Dach auf. Mit herrlichem Ausblick nach Norden, Osten und Süden aus den kleinen Fenstern und einer gut ausgestatteten Küche. Den Nachmittag füllte ein gemeinsamer Spaziergang durch den Hafen, das Gewimmel einiger roter kleiner Hütten hinüber zum Fort und durch die Stadt. Ein ungewöhnlich warmes Pfingstwochenende kündigte sich an.
Am folgenden Tag umrundeten wir Københavns Lufthavn, den Tower als Landmarke zur Peilung nutzend und in gebührendem Abstand zur Landebahn allerdings auch zum Meer hin darauf achtend, nicht in die internationale Schiffahrtsrinne des Øresund zu gelangen. Östlich von uns kam die Autobahn nach Schweden aus dem Tunnel auf der eigens dafür aufgeschütteten Insel Peberholm. Daran schließt sich die weithin sichtbare Brücke nach Malmö an. Nördlich der Landebahnen liefen wir Kastrup Søbad an. Dort steht ein kostenloses - im Sommer von Lebensrettern bewachtes - Freibad in der Bucht. Eine hübsche graue Holzkonstruktion auf Pfeilern im Wasser. Kopenhagen gibt sich erfolgreich viel Mühe, ausreichend kostenlose öffentliche Badestellen für alle zu schaffen. Definitiv ein Beitrag zur hohen Lebensqualität dieser Stadt. Nachdem wir uns gestärkt und die öffentlichen Toiletten genutzt hatten, fuhren wir vor dem sensationellen 4,6 km langen Sandstrand der 2005 eröffneten, künstlich angelegten Naherholungs- und Badeinsel Amager Strandpark entlang - im frischen, klaren Wasser des Øresunds. Es folgte ein Industriehafen mit einigen großen Tanklagern und zwei weithin sichtbaren Landmarken, einer Veranstaltungshalle, auf der ein riesiges Wolfsgesicht in schwarz-weiß prangt und Amager Bakke. Doch zu Kopenhagens neuer Abfahrtsskianlage kommen wir später noch ausführlicher. Vor der südlichen Hafeneinfahrt, die zu nutzen allen kleinen Booten vorgeschrieben ist, fuhren wir noch durch einen Teil des Meeres, der schon in wenigen Jahren ein neuer Stadtteil sein wird. Dort wurden dicke Gesteinsbrocken an Spundwänden aufgeschüttet. Westlich konnte man noch einen kurzen Blick auf den Segelboothafen Margareteholm erhaschen.
Im Kopenhagener Hafen herrschte am Pfingstwochenende Hochbetrieb. Wir liefen bei brütender Hitze am Samstagnachmittag ein. Unzählige Sportboote waren auf dem Wasser, teils völlig übermotorisiert. Am nördlichen Kai lagen weit draußen vier unsinnig überdimensionierte Kreuzfahrtschiffe, es folgten die königliche Jacht und einige Jachten der Superreichen. In der Stadt tummelten sich an diesem Wochenende die Massen an den großzügigen öffentlichen Badestellen. Über das Wasser schallte ein lautes Brummen wie von einem Jahrmarkt. Angefangen hatte die große Sommerparty am Wasser vor zwei Jahrzehnten nach der Schließung der Industriebetriebe und ihrer giftigen Einleitungen. 2002 wurde das Havnebad Islands Brygge der Architekten Bjarke Ingels und Julien de Smedt eröffnet. Mittlerweile ist das fünfte Hafenschwimmbad im Bau und es gibt unzählige Badegelegenheiten an den Kais und Ufern. Da der Kopenhagener Hafen zwischen Amager und Sjælland von der starken Strömung des Øresund durchgespült wird, ist das Wasser im Hafen herrlich klar und recht frisch. Sinnvollerweise sind die Uferwege in Kopenhagen nahezu allesamt öffentlich zugänglich, wohltuend breit angelegt und sämtliche Autos verbannt, so dass man sich zu Fuß und auf dem Rad erholen und dabei den Ausblick beim Vorankommen genießen kann.
Am Pfingstsonntag mussten wir ganz, ganz früh aufstehen. Die Klubräumlichkeiten und der angrenzende Tømmergraven waren ganz\-tägig für ein Rennen mit chinesischen Drachenbooten gesperrt. Das passte uns prima, denn wir wollten den Kopenhagener Hafen mit allen seinen Kanälen in der Innenstadt (einmal um Frederiksholm, durch Christianshavn und den Nyhavn) ausrudern. Das ging dank der nördlichen Lage Dänemarks und der nahenden Sommersonnenwende zu nachtschlafender Zeit recht gut. Denn wer außer den wahnsinnigen Wikingern steht mitten am langen Wochenende - auch in Dänemark ist der Pfingstmontag ein Feiertag - morgens vor fünf Uhr auf, um rechtzeitig auf das Wasser zu kommen. So konnten wir alles ausrudern und einige schöne Fotos von Nyhavn vom Wasser aus knipsen. Tagsüber hätten uns dort die Barkassen wahrscheinlich plattgebügelt. So aber konnten wir durch die engsten Stellen mit zweireihig geparkten Segeljachten hindurchstechen - auf spiegelglattem Wasser durch ein noch ruhig ruhendes Kopenhagen. Unsere erste Pause legten wir an den dunkelbraunen Fischerhütten am Erdkehlgraven ein. Zuvor hatten wir noch dessen Verlängerung (den nördlich an Christiania angrenzenden Laboratoriegraven) bis zum schlickigen Ende ausgerudert. Die Mittagspause in diesem Viertel hinter der Oper, in dem die Hochschulen für Musik, Theater und Architektur ihre Einrichtungen haben, nutzten einige von uns, um Amager Bakke aufzusuchen. Dort wurde der Neubau einer Müllverbrennungsanlage mit einem öffentlichen Nutzen und anspruchsvoller Gestaltung verbunden. Die Kessel, Maschinen und Anlagen im Inneren sind so aneinandergereiht und gestapelt, dass auf der abschüssigen Fläche des umhüllenden Daches eine Abfahrtskipiste auf Kunstrasen nebst Skilift und Bergwanderpfad angelegt werden konnten. Nun kann in Kopenhagen ganzjährig Ski gefahren werden. Wer selbst hoch läuft, fährt gratis runter. Und von der Roof-Top-Bar aus hat man einen grandiosen Blick über Kopenhagen.
In den Booten ging es dann weiter zum wasserseitigen exklusiven Fotoshooting mit der Meerjungfrau - wir sind jetzt sicherlich unfreiwillig auf vielen Fotos unbekannter Social-Media-Profile gelandet - DSGVO hin oder her. Anschließend ruderten wir in der Speicherstadt Kopenhagens, die rund um die beiden Becken des Søndre Frihavn gelegen ist. Daran schlossen sich die Fahrt durch das Mellembassinet für die Skandinavien-Fähren und das Badeparadies rund um das Nordbassinet an. Dort ist die neuerliche Umwandlung der ehemaligen Industriehäfen in hochwertige Wohnquartiere schon weit fortgeschritten. Immer wieder wurden alte Silos zu Luxuswohnungen recycled.
Nun ging es hinüber nach Trekroner, einer ehemaligen militärischen Festungsanlage mit weit ausspannenden Dämmen. Wir legten im Inneren an, vertäuten unsere Boote an den Holzplanken und balancierten auf diesen wenige Zentimeter dicht am Wasser zwischen den Kaimauern und Booten entlang bis zur steilen Rampe nach oben. Die Tunnel unter den Festungsanlagen waren der einzig kühle, schattige Ort auf dieser künstlichen Insel. Neben den rostigen alten Kanonen oben auf der Festungsanlage hatte man einen großartigen weiten Blick auf den Øresund bis nach Schweden hinüber und in den Kopenhagener Hafen hinein auf das Panorama der Stadt. Gut, dass dieser Ort mittlerweile Erholung und Entspannung ermöglicht, statt Krieg und Militär zu dienen. Den Rückweg zum Roklub mussten wir uns durch den abermals von Ausflüglern überfüllten Kopenhagener Hafen bahnen.
Den verregneten Pfingstmontag nutzten einige von uns noch zum gemeinsamen Stadtbummel. Zuerst ging es am Hafenufer entlang. Die Marmorkirken nutzten wir, um Zuflucht vor dem Regen zu suchen. Schloß Amalienborg war für einen Marathon abgeriegelt. Weiter ging es noch über das nördlich gelegene Kastellet. An de kongelige pavilloner wurden wir noch Zeugen einer Abschiedsszene eines Kadetten, der dort zuerst Eltern und Freundin und dann seine Freunde anlandete und verabschiedete und schließlich alleine wieder zurück zur königlichen Jacht Dannebrog übersetzte. Wir haben uns leider nicht getraut, ein Foto zu machen. Hollywood hätte es aber bestimmt genau so und nicht anders in Szene gesetzt.
Die ersten fuhren am Montagabend bereits zurück nach Hause. Christina, Rüdiger und Jochen nutzten das wieder aufgeklarte Wetter für einen entspannten Ausklang des Urlaubs im Tivoli, das ausnahmsweise mal nicht überfüllt war.
Jochen
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