Wenn Ostern im März ist, sind Dinge möglich, die sonst an einem Übermaß
an Seerosen scheitern. Deshalb ging es dieses Mal auf die Warnow nach
Mecklenburg, statt wie sonst meistens nach Berlin/Brandenburg oder Ostfriesland.
Nach einem komplizierten Mittelfußbruch blieben leider nur Holger,
Thorsten und ich übrig, aber egal: tres faciunt collegium. In Bützow
steht Mecklenburgs Traditionsknast, und von dort ging die Reise los. Zum
Aufwärmen zu Fuß. In Groß Raden gibt es eine Holzburg in einem See.
Slawen hatten sie aufgebaut, nachdem die Germanen die Gegend im Zuge
der Völkerwanderung großteils verlassen hatten. Seitdem enden viele
Namen auf -ow und -itz. So der Warnowdurchbruch bei Mildenitz. Ich
hatte Schilderungen von dessen Befahrung gefunden, doch waren wir drei
uns bei der Ortsbesichtigung schnell einig, dass wir hier unser Boot einer
ernsthaften Bruchgefahr aussetzen würden.
Stattdessen ruderten wir zunächst von Bützow stromauf bis es nicht
mehr weiterging. Trafen da auf ein Berliner Pärchen, die kurz unterhalb
des Durchbruchs eingesetzt hatten, doch bleibt es einer nachfolgenden
Expedition vorbehalten, diese Stelle zu finden. Zumal uns die Berliner auch
sagten, dass durch die Renaturierung diese Stelle ziemlich verblockt ist.
An der Bützower Mühle mussten wir erst einmal umtragen, doch hatte
man hier einmal mehr nicht an die Existenz von Ruderern gedacht. Man
musste schon aufpassen, mit einem Zweier mit Steuermann das Steuer
nicht zu gefährden; ein Dreier-mit hätte hier schon keine Chance gehabt.
Dabei ist die Oberwarnow wunderbar zu rudern, oft durch urigen Wald, der
übergangslos in ein Waldmoor überging. Jetzt beim Frühjahrshochwasser
ging der Fluss in die Breite, schwierig mitunter zu sagen, wo er überhaupt
endete. Noch schwieriger eine Anlegestelle zu finden, wenn die Ufer aus
Matschepampe bestanden. Also steuerten wir unter einen Baum, an dem wir
uns für die Trinkpause festhielten. Der Wasserwanderrastplatz des Dorfes
Baumgarten war dann ein Steg, den die Vögel glitschig gek--t hatten, denn
auch die fanden kaum festen Boden zum Rasten.
Ein neuer Tag, ein neues Abenteuer. Rostock ist ein Ostseehafen. Doch
die Warnow ist kurz, das Hinterland also klein. Also plante man einen
Stichkanal bis an das mecklenburgisch-brandenburgische Wasserwegesystem
gen Berlin. Bis Güstrow wurde er auch fertig, immer noch eine wunderbar
zu rudernde Strecke. Doch dieser Stummelkanal hatte schon zu DDRZeiten
so wenig Verkehr, dass er unrentabel aufgegeben wurde. Und dann
vergessen wurde. Zwei Schleusen waren stillgelegt. Jübermann zeigte auf
seinen Karten Kanuumsetzstellen, die auch groß genug waren für unser
Ruderboot. Nur leider seit mindetens zehn Jahren vom Schilf verwuchert.
Aber dafür sind wir ja Wanderruderer: hinein in den Wald, eine kleine Lücke
zwischen Bäumen, einer hält das Boot fest, einer krabbelt durchs Boot
und entlädt es, einer schleppt das Gerümpel zum Oberwasser. Einmal quer
über die Wiese, mit einem Elektrozaun quergespannt über den offiziellen
Umtrageweg. Die zweite Schleuse war ganz zu einem Wehr umgebaut
und dabei sogar die Umtragestelle vollständig abgebaut. Fitzceraldo war
gefragt. Und endlich die Barlachstadt Güstrow. Der Dom grüßte, doch wir
kamen nicht heran, weil - ihr ahnt es schon - keinerlei Austiegstelle im
Gestrüpp, dafür aber kräftige Strömung zu finden war. Ein schöner Kanal,
den ignorante Wasserbauer völlig ruiniert hatten. Den gleichen Weg zurück:
schwarz glänzte der Bützower See im Mondlicht, die Osterfeuer leuchteten
am Ufer, und wir suchten in der Dunkelheit das Bootshaus der Kanuten,
bei denen wir untergebracht waren.
Der dritte Tag war da schon die totale Erholung. Zunächst auf einem
krummen Flüsschen, der Nebel so weit es ging hinauf Richtung Güstrow.
Sehr idyllisch, aber in der warmen Jahreszeit komplett zugewachsen. Eigentlich
ein schöner Rückweg von Güstrow am Tag zuvor, aber selbst mit
Bootswagen nicht machbar, weil schlichtweg kein Umtrageweg vorhanden,
war. Nach diesem idyllischen Abstecher ging es die mittlere Warnow hinab
in den Trubel der Feiertagskanuten, und der Fluss wurde schnell sehr breit,
eben schiffbar, oft durch bewaldete Auen, oft mit Aussicht auf die Moränen,
durch die sich die Warnow auf ihrem Weg zur Ostsee mehr und mehr
eingrub. Am Ufer lauerten schon die Floßdatschen mit Außenborder auf
Touristen, doch wir hatten Glück, denn es war einfach noch zu früh und kühl
im Jahr. Im nächsten Städtchen wäre sowieso für sie Schluss gewesen und
mangels großem Revier (der Kanal nach Berlin war ja nie fertig geworden)
auch wenig lohnend für solche bierschwangeren Verkehrshindernisse. Ab
Schwaan war der schiffbare Fluss nämlich gänzlich für die Motorschifffahrt
gesperrt aus Naturschutzgründen. Ab da wurde der Fluss immer wilder,
und ich hörte irgendwann auf, die Eisvögel zu bewundern, denn es waren
einfach viele.
Vorher machten wir noch eine Pause in Schwaan, das Worpswede von Mecklenburg. Die Künstler waren zwar inzwischen ihrer Wege gegangen,
doch der Nimbus der Künstlerkolonie fixierte das hübsche Städtchen auf dertouristischen Landkarte. Weiter. Irgendwann die Kirchtürme Rostocks am
Horizont. Höchste Zeit, denn es wurde allmählich dämmerig. Doch davor
wartete die Schleuse Rostock. Die war ein weiterer Grund, warum wir auf
diese Wanderfahrt so lange hatte warten müssen. 2012 sind wir schon einmal
in Rostock gerudert, nur eben nicht die Warnow stromauf, denn da war
die Schleuse gerade geschlossen worden, und es wurde debattiert was mit
ihr zu tun sein, da sie einsturzgefährdet war. 2016 erkundete ich, was aus
den Plänen geworden sei. Man war soweit, dass man die Schleuse verfüllen
und eine Umtrage bauen wollte. 2018 berichtete eine Mannschaft, dass die
provisorische Umtragestelle mehr als anderthalb Kilometer lang war, andere
berichteten von drei Kilometern, nichts genaues wusste man. Könnte es sein,
dass in Rostock und Umgebung Wassersportler als Kosten- und nicht als
Wirtschaftsfaktor gesehen werden? 2024 war die Umtrage aber ausgebaut,
und somit sogar deutlich schneller, als wenn wir auf einen Schleusenwärter
hätten warten müssen. Nachtruhe beim Kanuverein Rostocker Greif. Ein
reicher Verein, denn ein ehemaliger Olympiastützpunkt der DDR. Hier
brummte der Bär. Genauer gesagt feierte einer der Greifen, das erste Mal
Papa geworden zu sein, und gastfreundlich wurden wir zu selbstgemachten
Hamburgern eingeladen. Den dritten musste ich pappsatt ablehnen, bevor
es dann oben im Clubraum mit interessanten süßen Getränkmischungen
weiterging.
Der letzte Tag. Um die Warnow komplett auszufahren, mussten wir es
noch nach Warnemünde schaffen. Der Wetterbericht versprach Sturm für
die nächsten zwei Tage. Also machten wir uns früh auf, und ruderten auf der
fördeartig erweiterten Unterwarnow an Rostocks Altstadt vorbei, an den
Werften, die gerade zur Rostocker HafenCity geworden waren, am Hafen, ab
dem die Dänemarkfähren uns aufs Korn nahmen. Gerne wären wir schneller
zur Seite gefahren, doch dort überholten uns munter die Hafenrundfahrten.
Vielleicht hätten wir sogar noch früher aufstehen sollen. Das Berliner Ehepaar
von der Oberwarnow kam uns hier nämlich schon entgegen. Auch noch
vor dem Sturm war das Wasser ziemlich aufgewühlt. Eigentlich wollten wir
in Hohe Düne anlegen. Doch kaum dass wir in Warnemünde den Schutzdamm
hinter uns hatten, drohten wir auf dem offenen Meer die Kontrolle
über das Boot zu verlieren. Wir waren nämlich mit einer E-Gig unterwegs,
und sie bewies ihre Unzulänglichkeit. Ab einer gewissen Windstärke und
Breite des offenen Gewässers, wie wir sie in unserem Heimatrevier zum
Beispiel an der Unterelbe ab Glückstadt vorfinden, machen Inrigger einen
wichtigen Unterschied aus: die E-Gig schaukelt heftig und droht zu kentern,
während ein Inrigger es beim heftigen Schaukeln belässt.
Für dieses Mal sind wir trotzdem heil in Rostock angekommen.
André Gesche
|
|