Sonntag, 5. August: Müden unter der Brücke
Es ist nachmittags und wunderbares Sommerwetter, alle sechs Wikinger sind beisammen und die Boote liegen bereit. Es kann losgehen.
Wir sind an diesem Sonntag früh vom baustellenumstellten Bootshaus losgefahren, haben die Boote hier in Müden kurz unterhalb der Okermündung unter der Brücke abgeladen, haben den Hänger zu den Celler Ruderkameraden gebracht und sind mit den Bahnfahrern Holger und Stefan zusammen im Taxi wieder zurück.
Heute haben wir nur gute zehn Kilometer vor uns, aber wir rudern direkt am Anreisetag. Das Wasser ist ruhig und dunkel, wir rudern durch Gräser und Teichrosen, Büsche recken sich über uns. Nicht allzu lange und wir erreichen das erste Wehr mit Bootsgasse, leider aber halb verfallen und jedenfalls für uns nicht benutzbar. Aber wir wollen ja hier sowieso raus, denn nur wenige Meter vom Ufer liegt der Landgasthof Allerparadies, wo wir übernachten.
Ein paar allgemeine Eindrücke:
Die Aller fließt durch eine ruhige, zumeist einsame Landschaft, ein altes Urstromtal am Südrand der Lüneburger Heide. Eine Landschaft so richtig zum Entschleunigen. Die wunderschöne Fachwerkstadt Celle und Verden mit dem prächtigen Dom stören diese Ruhe nicht entscheidend. Die Weser von der Allermündung bis Bremen durchfließt eine ähnliche Landschaft, aber der Fluss hat schon eine majestätische Breite. Bei Achim hebt sich das rechte Ufer steil bis zu zwanzig Meter über das Wasser. Doch die Weser pendelt bald wieder nach links in die weite Ebene Richtung Bremen. Da wir mitten im trockensten Sommer seit Jahrzehnten waren, hatte ich einige Befürchtungen wegen des Wasserstandes der Aller, aber bis zur Leinemündung gibt es ja Staustufen mit Schleusen, und da reichte der Wasserstand tatsächlich auch ohne Probleme. Aber auch nach der Leinemündung reichten Wasserstand und auch Strömung trotz rekordverdächtig niedriger Pegelwerte für eine angenehme Fahrt aus.
Montag, 6. August
Wir bringen die Boote gleich unterhalb des Wehres ins Wasser und nach wenigen Kilometern umtragen wir das nächste Wehr. Es gibt wieder eine Bootsgasse, aber die ist defekt und für Ruderboote auch sonst eher nicht zu empfehlen. Das wiederholt sich noch einmal und dann sind wir schon in Celle. Die Aller weitet sich zu einem Badeteich, der bei diesem Sommerwetter auch ausgiebig genutzt wird. Links liegt das Bootshaus des Celler Rudervereins und da steht auch unser Hänger mit Zugfahrzeug wohlbehalten auf der Wiese. Kaum haben wir die Boote an Land gebracht, müssen wir natürlich noch einmal ins Wasser, der Badeteich lockt. Ein merkwürdiger Teich, am Rand ist das Wasser tief und in der Mitte reicht es teilweise nicht einmal ans Knie. Wir sind hier schon fast mitten in der Altstadt, so dass wir trotz der wenigen Abendstunden einen Eindruck von Celle gewinnen können. Ich hatte den Besichtigungstag in Celle gestrichen und eine Übernachtung in Rethem eingeplant, da ich nicht sicher war, wieviel Schwierigkeiten wir im Unterlauf der Aller durch den niedrigen Wasserstand bekommen würden.
Dienstag, 7. August
Kaum gestartet erreichen wir schon das nächste Wehr mitten in der Stadt mit einem holperigen Anlegesteg. Das Umtragen ist etwas mühsam, erst über die Straße, dann tief hinab zum Unterwasser, das reichlich unter dem Normalwasserstand liegt. Nun haben wir erst mal freie Fahrt bis zur Schleuse Oldau.
Die können wir bequem selbst bedienen. Nur noch ein paar Kilometer, dann legen wir schon in einer kleinen Bucht an einer Pferdekoppel an. Wir haben tatsächlich den richtigen Ausstieg für das Gasthaus Allerblick in Winsen an der Aller erreicht. Die Wirtin kann uns beruhigen, dass bis zum nächsten Tag keine Pferde erscheinen werden, und so lassen wir unsere Boote auf der Koppel. Es ist ein sehr heißer Tag, trotzdem ist heute Kultur angesagt, besser gesagt Industriekultur: Wir fahren mit dem Großraumtaxi zum Deutschen Erdölmuseum in Wietze, nur einige Kilometer entfernt. Hier wurde 1858 eine der weltweit ersten Erdölbohrungen niedergebracht, und Anfang des 20. Jahrhunderts war hier das größte Erdölfeld Deutschlands. Besonders beeindruckend fand ich die Außenanlagen, mit alten Bohrtürmen und Pumpen. Mehrere Pumpen wurden jeweils von einer zentralen Dampfmaschine über Ketten aus Schubstangen angetrieben, die über dem Boden verlegt waren. Hier waren hunderte von Pumpen aktiv, und wenn man da unbedarft hindurchlief, konnten einen solche Schubstangen leicht von den Füßen hauen. Wir wurden tatsächlich nach einer Stunde im Außenbereich fast von der gewaltigen Hitze umgehauen. In jedem Fall ein sehr sehenswertes Museum.
Mittwoch, 8. August
Heute haben wir einen richtigen Fahrtentag mit 35 km und drei Schleusen. Über die Schleuse Hademstorf verlassen wir kurzfristig die Aller und fahren ein Stück auf der Leine, bevor die Aller uns dann wieder hat. Und, welch Glück, die Leine führt bei weitem mehr Wasser als ich befürchtet hatte, und sie strömt entsprechend gut. Die letzten Kilometer bis Hodenhagen fahren sich fast wie von selbst. Vor der Meißemündung legen wir die Boote auf das Ufer und warten im Gasthaus bei Kuchen und Eis auf das Taxi, das uns wieder nach Winsen zurück zum Gasthof Allerblick bringt. Eigentlich hatte ich eine Unterkunft in Hodenhagen vorgesehen, das hatte sich dann aber zerschlagen. So konnten wir das gute Essen im Gasthof Allerblick noch ein zweites Mal genießen.
Donnerstag/Freitag, 9./10. August
Ursprünglich hatte ich geplant, an einem Tag bis Verden durchzurudern. Wegen all der Warnmeldungen bezüglich Untiefen auf Grund des niedrigen Wasserstandes haben wir nun zwei Tage Zeit mit Übernachtung in Rethem. Aber wir finden keine Untiefen und die Strömung bringt uns schnell voran. Nach einer Stunde ungefähr fahren wir in die Allerschleife bei Bosse ein. 2,5 km weiter sehen wir wieder genau den gleichen Bauernhof wie vorher, nur von der anderen Seite, nur 150 m ist hier die Landbrücke breit. In Rethem holt uns der freundliche Gastwirt vom Anleger ab, leider hat er aber keinen Restaurantbetrieb. Er erzählt, dass bis vor ein paar Jahren immer Wanderruderer vom Hamburg und Germania Ruderclub bei ihm übernachtet hatten und dass er bis vor ein paar Jahren auch noch ein Restaurant hatte. Eine Dönergaststätte ist das einzige, was wir finden können, aber das Essen ist gar nicht mal schlecht.
Am Freitag geht es weiter mit guter Strömung nach Verden, wo wir beim Verdener Ruderverein endlich mal wieder die Isomatten ausrollen können. Verden ist eine sehenswerte kleine Stadt mit einem eindrucksvollen Dom.
Sonnabend, 11. August
Die Hitze ist heute erst einmal zu Ende, wir haben Gegenwind aus Westen, es droht Regen. Bis zum Bremer Ruderverein sind es 46 km, das ist jetzt die längste Strecke. Fünf Kilometer gegen den Wind, und wir haben die Weser erreicht. Die Aller hat sich ja schon in den letzten beiden Tagen immer mehr geweitet, aber nun sind wir auf einem richtigen Strom. Nicht lange und wir erreichen das Wehr Langwedel. Mit einer schweren Gleislore können wir hier die Boote ins Unterwasser bringen. Im Oberwasser können wir die Boote bequem auf die Lore ziehen, aber das untere Gleisende liegt auf dem Trockenen. Das nächste Wasser ist mindestens dreißig Meter weg. Da heißt es doch noch entladen und tragen. Doch dann werden wir mit schneller Strömung in weitgehend naturbelassenem Flussbett entschädigt.
Der Westwind wird stärker mit kräftigen Böen und Schauern. Ganz\-körper\-ver\-hüllung ist angesagt. Und Wind und Regen lassen nicht nach, wir brauchen eine Pause, möglichst mit Wind- und Regenschutz. In einer Bucht unter dem Achimer Steilhang sind wir im Windschutz, und unter überhängenden Büschen gibt es auch ein wenig Schutz vor Regen. Etwas Tee und Energieriegel bringen neue Kräfte und weiter geht die Schinderei gegen den Wind und mit wolkenbruchartigen Schauern, manchmal von einigen Sonnenstrahlen unterbrochen. Endlich sind wir an der Sportbootschleuse der Bremer Weserschleuse. Nun ist es allmählich trocken, aber dafür müssen wir ewig auf die Schleusung warten. Auf der Tideweser geht es noch einige mühsame Kilometer bis zum Bootshaus des Bremer Rudervereins.
Rathaus und Bremer Stadtmusikanten bewundern wir bei Nacht und dann brauchen wir eine kräftige Stärkung nach diesem letzten und anstrengendsten Rudertag.
Sonntag, 12. August
Nachholen des Gespanns aus Celle, Verladen, Rückfahrt, Boote aufbauen und reinigen, alles läuft problemlos, nur unsere beiden Bahnfahrer kommen dank bekannter Bahnpünktlichkeit fast zu spät zum Arbeiten.
Eine wunderschöne Fahrt durch eine beschauliche norddeutsche Landschaft liegt hinter uns. Und wir wissen jetzt: Die Aller kann man auch bei extremer Trockenheit noch fahren.
Rüdiger Schmidt
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