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Donau 2011
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Donauminiaturen

Reisebilder aus Bayern

   

Von der Stadtmauer Ulms kragt eine Kanzel gen Donau hinaus. Sie ist nur klein, liegt ein bißchen erhöht. Die Altstadt stößt sie fast hinunter und läßt keinen Anlauf zu. Das tapfere Schneiderlein weiß nicht, daß es Anlauf braucht, damit ihm der Wind unter die Gleitflügel greift. Es weiß aber, daß die gewölbt sein müssen und in der Mitte breiter, damit die Luft oben herum einen längeren Weg hat und somit schneller als unten herum fließt, und ein Unterdruck entsteht. Das Ulmer Publikum will das Schneiderlein fallen sehen. Dieses stürzt die sieben Meter hinab in die Donau, und der Gleitflug hat noch weitere hundert Jahre Zeit, sich auf den Menschen vorzubereiten.

Der Lesesaal des Benediktinerklosters Wiblingen ist dicht bevölkert von weißen und goldenen Statuen aus der griechischen Tugendlehre. Er ist beschirmt von einem Freskenhimmel, in dem Mönche und Dido, die liebeskranke Königin Phöniziens, friedlich koexistieren. Ringsum stehen geschwungene, pasteuse Bücherregale mit einst prächtigem Buchbestand. Jetzt ist der schütter, lückenhaft, als hätten sich Motten in einen alten Teppich eingenistet. "Ora et labora et lege!", sagten die Benediktiner, bevor sie sich gegen Ulms Luthertum verwahrten. Danach aber reichte die lektürearme Pracht aus Blattgold und Marmorimitat zum simplen: "Impera!" Imperemur et stupeamus.

Steile, kurze Stufen aus bröckeligem, grauem Steinpflaster vermitteln zum Unterwasser hinter der Leipheimer Staustufe. Dünn, lang und dicht treibt sich gelbes Unkraut in die Fugen, derweil sich das Illerhochwasser in breiter Front über die Stauklappen des Wehres wälzt. Das Ruderboot tänzelt ungefährdet in geringem Kehrstrom. Der hat im Oberwasser vor dem Wehr das gelbe Licht an und die Schleuse abgeschaltet. Dort künden die Schilder von der Lebensgefahr. Ohne Schleusenwärter droht die Gefahr allgegenwärtig, unbestimmt und unbedingt. Vor allem dem Kraftwerk. Um sich vor Schadensersatzforderungen zu schützen, hieß es uns, das Boot umzutragen. Steil und bröckelig ist die Treppe zum Unterwasser und voller Unkraut.

Hinter den Donauauen erstreckt sich eine staubige Ebene. Das Donauried ist umgegraben, trockengelegt zu Maisfeldern, offen gelegt zum knirschenden Kieswerk. Eine Autostraße mit dürren Bäumchen und Fahrradweg vermittelt zu dem vereinzelten Hügel, auf dem Schloß Höchstadt steht. Immerhin hat die Provinz hier Stadtrechte, und eine detailverliebte Zinnsoldatensammlung spielt the Battle of Blenheim nach. Das war, als der Sonnenkönig einen Strohmann auf dem spanischen Thron installieren wollte. Auch die Wiener hatte einen Anwärter. Um die Angelegenheit zu regeln, mußte der Sonnenkönig nach Wien. Man traf sich in der Mitte, im Donauried, und schlug sich die Köpfe ein. Sieger waren die Engländer: Sie erhielten ihre Kriegsanleihen samt Zinsen zurück, Frankreich verlor den Rhein und Österreich die Pyrenäen. Den Trittbrettfahrer Wittelsbach warf die Geschichte unrühmlich ab. Wohl deswegen öffnet Bayern sein höchtstädtisches Zinnpanoptikum nur widerwillig auf Anfrage den englischen Touristen.

Die Ilz legt flach und voller Wasserrosen und Enten eine Schlinge um Donauwörth, das sich stolz auf einem gut gesicherten Hügel erhebt. Hier stoßen die Schwäbische und die Fränkische Alb zusammen, erzwingen eine nord-süd-gehende Fernhandelsstraße und dadurch Reichtum und Reichsstadt für Donauwörth. Das Städtchen war einmal so selbständig, wie es Hamburg heute ist. Deshalb landete der Reichsadler auf dem städtischen Brunnen, und die Kaufleute auf der Reichsstraße haben ihre effizient-streng giebelständigen, gotischen Wohn- und Handelshäuser in Reih und Glied bewahrt. Das Rathaus am unteren Ende der Straße verwaltet bescheiden diesen Gewerbefleiß. Am oberen Ende prunkt im Renaissancestil eine Fuggerei. Europas Adel hatte sich nämlich beim augsburgischen Bankhaus überschuldet und bot Noblesse und Land gegen Schulden. Augsburg nahm an. Donauwörths Reichsadler wurden die Flügel abgeschlagen und er zahlte den von Fuggern die Zeche.

Marxheim gegenüber mündet von den Alpen kommend der Lech in die Donau. Tatsächlich mündet hier die Donau, vom Schwarzwald kommend, in den Lech. Hydrologisch wenigstens. Der dürre Karstfluß ist nur der Namensgeber. Dicht fällt der Gewitterregen, grell hinterleuchtet von milchig-dünnen, sonnigen, dicht gewebten Wolken. Die Wasseroberfläche wird zum abstrakten Gemälde aus silbrigem Weiß und steingrauen Schattenrissen eingestreutem, zerfaserten Unwetters. Wir haben uns unter der Brücke untergestellt. Deren Regenrinnen speien Wasser aus. Gegen so viel Lärm bleiben wir stumm und betrachten das Wasser, wie es den Rand einer Reifenspur erreicht und, den kleinsten Regungen des Reliefs genau folgend, sich über Kaskaden, Gräben in den nächst-, seitlich oder parallel gelegene Kuhle ergießt. In das faszinierende Spiel scheinbaren Zufalls und regelhaften Zwanges greift der Peekhaken als Landschaftsarchitekt ein, bis daß in den Reifenspuren unter der Brücke eine Seenplatte entstanden ist. Nach dem Regen muß einer von uns zum Boot zurück und ausschöpfen. Es ist halb voll Wasser.

Idealismus gebar die Reformation, Zynismus hielt sie am Leben. Luthers Thesen dienten sich als Munition an, mit der Fürsten und Herzöge Rom aus seinem Bevormunden und seinen goldenen Klöstern schossen und Landeskirchen von Ihro Gnaden gründeten. Cuius regio, eius religio. Der Herzog von Wittelsbach-Pfalz-Neuburg schützte sich vor seinem münchnerischen Vetter und konvertierte sein Minifürstentum zum Protestantismus. Ulm, Württemberg, Donauwörth, Neuburg, Regensburg: die evangelische Union an der oberen Donau war einander solidarisch. Bis ein katholischer Fürst am Niederrhein ohne Sohn starb. Mit ihm starb auch die Reformation in Pfalz-Neuburg, und der jesuitische Barock der Gegenreformation formte das geschlossene Ganze einer inszenierten Residenz in der Enge der bewaldeten Berge der Fränkischen Alb und den Stromschnellen des Donautales. Junge Schuhsohlen klappern in Klassenstärke aus den Rokokokirchen hinaus auf das Pflaster der Plätze und Bürgersteige mit Zeugnissen in den Händen; sie knieten ohne zu hinterfragen. Die Fragen hatten ihre Vorfahren den Jesuiten schon beantwortet. Als Wolfgang Wilhelm nach Düsseldorf umzog und dafür katholisch wurde, schob er seine evangelische Mutter auf höchstädtische Altenteil ab und ließ seinen Bürgern an der Donau die Freiheit, Neuburger oder eben Lutheraner zu bleiben. Bisweilen töten auch Zyniker eine Reformation.

Kümmerlich sickerte das Donaurinnsal sommers durch ein breites Kiesbett. Im Frühjahr hingegen ertränkte die Schneeschmelze breite Auwälder und Altarme schwappten in die Rieddörfer. Dann kamen die Wasserbauingenieure. Sie bockten den Fluß auf; träge und gerade wälzte sich sein Wasser von Stauwehr zu Stauwehr. Ringdeiche blähten die Donau auf und sicherten die Schiffbarkeit. Unser Ruderboot fährt als einziges durch den Schleier aus grauem Landregen und übriggebliebenen Wolkenfetzen in den dunkelgrünen, triefenden Wäldern. Die Radfahrer auf den Deichwegen haben sich untergestellt. Wir rudern still und konzentriert, die Regenjacken glänzen in der Nässe. Überrascht lassen sich die Biber ins Wasser fallen, und die Silberreiher stemmen sich zusammengekauert dem Regen entgegen. Die Pappeln sind durchgenagt und ins Wasser gestürzt, das Schilf, die Wasserrosen setzen das flache Staubecken zu, die Birken und Erlen liegen bleich und tot und schwimmen. Reminiszenzen eines wuchernden Garten Eden, geboren aus dem schlechten Gewissen der Wasserbauingenieure, deren Landeswasserstraße niemand braucht. Schleusen vermitteln an den Staustufen, doch durch kommt nur, wer schmaler ist als vier Meter. Wir nehmen die Ruder lang und liegen alleine in der Schleusenkammer.

Der Mensch ist böse, und das Böse macht krank. Es sammelt sich in den vier Körpersäften und muß abgeschöpft werden. Wie ein dünnes Trinkglas sitzt der Schröpfbecher heiß auf der nackten Haut und saugt den Schmerz fest. Heiß glänzt der Schweiß auf der Stirn des Fieberkranken. Der Becher schneidet in die Haut und in Fäden sickert das Blut die Glaswände hoch. Ehe Mediziner die Bakterien erfanden, jagte eine Todeskrähe den Pestkranken Angst ein. In ihrem Schnabel hockten Kräuter, die den Arzt hinter der Maske vor der Ansteckung durch Pesthauch schützen sollten. Hämischer war das fröhlich-sadistische Grinsen des Dentisten bei der Arbeit, der ein Allheilmittel für jede Art von Zahnschmerzen kannte: War der Zahn herausgerissen, konnte er nur noch Phantomschmerzen hinterlassen. Betäubungen gab es nicht. Diese und andere heitere Geschichten sind gesammelt an der Medizinischen Fakultät der Bayerischen Landesuniversität zu Ingolstadt an der Donau.

Die Fränkische Alb umschließt immer dichter die Donau. In Weltenburg nimmt sie den kurzen Weg und durchbricht Hundert Meter hohe, weiße Kalkflanken in einer schmalen Klamm. Wildwasserschlauchboote versprechen gurgelnde Ströme und Strudel, doch die Wellen kommen lediglich von den Flotten der Ausflugsdampfer. Die Felsen im Fluß sind längst aus dem Weg gesprengt. Eine geteerte Straße führt zum Kloster am Anfang der Weltenburger Enge; sie ist dicht bevölkert von Rollatoren, Kinderwagen und Gesundheitssandalen. Drinnen im Klosterhof rummelt und kreischt der Biergarten. Bayerische Aufgeschlossenheit unterhält sich mit uns über das Reisen. Kellnerinnen im blauen Dirndl flattern umher. Dann schließt der Biergarten. Und plötzlich herrscht Ruhe. Eine Kellnerin schaut den Rauchringen ihrer Zigarette hinterher. Mönche trauen sich aus ihren Gemäuern heraus und streben zur Andacht in die Kirche. Wir sitzen auf einem angetriebenen Baumstamm am Kiesstrand zu Füßen der Klosteranlage und essen Nudeln aus dem Campingkocher. Doch schon am nächsten Morgen um zehn Uhr wird die stille Heiligkeit ein Ende haben, wenn der Biergarten den ersten Ausflugsdampfer empfängt.

Der Reichstag nach dem Dreißigjährigen Krieg tagte immerwährend im Rathaus zu Regensburg. Da zankten sich die unzähligen Reichsfürstchen und gaben ihrer Habsucht auf des Nachbarn Güter einen staatlichen Rahmen. Evangelische Reichsstädte rangelten mit katholischen Fürstbistümern um ein bißchen Macht. Der Kaiser war der machtloseste. Deswegen saß er auf seinem Thron unter dem Baldachin. Eigentlich sprach er auch nicht für das Reich sondern nur für seine Kronländer. Die anderen Fürsten hatte man zu Wahrung von Überblick und Eitelkeit nach Bankhöhe, -lage und -ausstattung sortiert. Die Kurfürsten saßen links und rechts des Kaisers nur eine Stufe tiefer auf grünem Samt. Die Reichsstädte drückten die kahlen Hinterbänke. Wer wann durch welche Tür schreiten durfte, entschieden das Protokoll und diplomatisches Geschick. Dem Kaiser allein war das zentrale Portal vorbehalten. Doch dann kam der korsische General über den Rhein. Er schloß die Quasselbude des Heiligen Römischen Reiches und Regensburg bekam sein Rathaus zurück.

Die römische Marine war in Straubing stationiert. Sie beruderte die Donau im vergeblichen Versuch, den fruchtbaren Gäuboden germanenfrei zu halten. Nach der griechisch-bayerischen Walhalla war der Bayerische Wald in den Hintergrund gerückt. Von dort drohten die Germanen. Die Ebenen steht zweitausend Jahre später in der Sommerhitze, die Traktoren tuckern staubig und unsichtbar hinter dem Deich gegen die öde Stille an. Zwiebeltürme ragen wie Meilensteine hervor, doch sind es keine römischen sondern preußische Meilen. Der schläfrige Strom ist durch zwei Staustufen ins Koma versetzt worden und arbeitet sich scheinbar bergauf in eine Kehre hinein. Nach dreißig Kilometern ist das Wehr Geisling erreicht. Die Schattenlosigkeit des dichten, niedrigen Gebüsches summt stachelig und ölig in meinem Kopf. Die Brotdose ist leer, in der Trinkflasche nur noch ein Rest lauwarmen Wassers. Vor uns liegen noch fünfundzwanzig Kilometer bis Straubing in der sich verdickenden Hitze. Seufzend schieben wir unser Boot über die Wehrinsel zum Unterwasser.

Zwei Tagesetappen lang war die Donau frei. Konnte Inseln und Nebenarme nach eigenem Gusto bilden, Sandstrände und Kiesbänke aufschütten, konnte mit Wucht gegen einen Prallhang anrennen oder pilzartig Wasser aus der Tiefe aufwirbeln. Als die Donau wieder den Bayerischen Wald erreicht hatte, brach sie durch sein Vorgebirge und rutschte über die Kachlets hinüber. Das waren Felsbänder quer durch den Fluß mit einzelnen, granitenen Steintischen, großen Quadern, die aus dem Wasser hinausragten und uns in die Fahrrinne zwangen. Wir genossen die Gewalt und Zügellosigkeit der Donau. An einer Stelle oberhalb Vilshofens kündigte ein Schild vom ultimativen Fortschritt. Hier fehlte den Wasserbauingenieuren ein letztes Wehr für den Endsieg über den Strom. Mit dessen Bau würden nur noch Taucher an den Steintischen Platz nehmen. Bayern war genügend geschäftstüchtig, später an der Renaturierung ein zweites Mal zu verdienen. Schließlich war die Finanzierung der Wasserstraße Sache des Eigentümers. Und der war die Bundesrepublik.

Passau erhebt sich auf einer langen, schmalen Landzunge zwischen der Donau im Norden und dem Inn im Süden und liegt in Italien. Römisch-katholische Kirchenfürsten umstellten die Piazza mit ihren Kirchen und Palästen und die pastell-bunten Kaufmannshäuser stehen in glatter, schlichter Fassade gegen die Längsstraße und laufen nach oben zum Giebel hin mit dem glatten Abschluß eines Flachdaches aus. Doch dieses Italien muß Konzessionen an den deutschen Schnee und Regen machen. Hinter der Schaufassade verstecken die Häuser ein Satteldach. Die Massen kunstbeflissener Touristen bemerken das nicht, sondern ergießen sich durch die schmalen Quergassen im Dunkel der Schwibbögen hinunter zu den flutgefährdeten Donaupromenaden. Wo Inn und Donau zusammenfließen, schießen Touristen albern-feierliche Beweisphotos der von ihnen erlegten Stadt. Es gelingt ihnen nicht, die lieblichen Berge um Passau unberührt einzufangen, wo Kreuzfahrtschiffe sich eines neben das andere ins Bild und vor die Donau schieben. Die Stadt ist voll von Eiscafés, Postkarten und DIN-A-5-großen passauischen Stadtplänen, von Tourismusenglisch, Kunstgalerien und kleinen Wegweisern: "Dom 300 m". Als ein Wirtshaus mit "garantiert keinem Donaublick" wirbt, kehren wir dort ein.

André Gesche


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