Bei Kakeldütt war Schluss. Wenn wir jetzt noch weiterfahren wollten, müssten wir staken oder treideln. Und es sollte doch eine gemütliche, anfängertaugliche Wanderfahrt werden. Also war hier wirklich Schluss und wir gingen erst mal ein Eis essen.
Aber nun mal von vorne: Am Vortag, Freitag, den 22. Juni, sind wir bei bestem Frühsommerwetter auf dem Campingplatz Useriner See im südöstlichen Zipfel des Müritz-Nationalparks angekommen. Boote abladen, Zelte aufbauen, Hänger nach Berlin vorbringen, dann waren wir sechs Wikinger für eine gute Woche in die Freiheit entlassen.
Sonnabend, 23.06. Rundfahrt Useriner See ohne Gepäck, 17km
Unser erster Rudertag ohne Gepäck diente zum Eingewöhnen und zur Erkundung des allerobersten Havellaufes. Die Havel mündet im Nordwesten in den Useriner See und soll ab dem Pagelsee fahrbar sein. Bei wunderschönem Sommerwetter und leichtem Wind rudern wir den Useriner See am unberührten Westufer entlang, in den Zierzsee, dann auf einem urwaldflussartigen Gewässer weiter in den Görtowsee, dann wieder Urwaldfluss und dann die Brücke mit kleinem Anleger für Kajaks, rechts Blankenförde und links Kakeldütt, jeweils ein paar Häuser im Nirgendwo des Nationalparks und eine Gaststätte.
Der Pagelsee liegt 7 km weiter flussauf. Wir beschließen, ihn dort liegen zu lassen und stattdessen den Useriner See gemütlich zu umrunden In Userin, dem einzigen Ort am See, finden wir nicht nur wieder ein Eis, sondern auch eine Storchenfamilie, die ihr Fertighaus genießt.
Das letzte Stück Weg zurück zum Zeltplatz wird etwas mühsam, da der Westwind kräftig aufgefrischt hat. Kein so gutes Zeichen für die weitere Wetterentwicklung.
Sonntag, 24.06. Vom Useriner See zum Ellenbogensee, 21km, 2 Schleusen
Nun geht es richtig auf Fahrt. Wir haben gut gefrühstückt, die Zelte sind abgebaut, die beiden Zweier sind bepackt. Wir sind startfertig und erreichen die erste Schleuse rechtzeitig zur Schleusung um 10:00 Uhr. Wären wir hier zu spät, hätten wir zwei Stunden warten müssen.
Im Großen Labussee haben wir den Naturpark verlassen, aber wir merken eigentlich keinen Unterschied; nur Wasser, Bäume und Bruchwald. Bald verlassen wir den See wieder, die Havel ist nun vorsichtig kanalisiert und mit Kilometrierung versehen, ansonsten aber doch sehr urwaldartig. Als wir auf den Woblitzsee hinauskommen, ist der Himmel bedrohlich verdunkelt, der Wind bläst kräftig aus West und wir müssen gegen Wind und Wellen ankämpfen. Dann haben wir endlich Wesenberg erreicht und legen bei der Fischereikooperative an. Einige von uns kennen sich hier schon aus von unserer Mecklenburg-Tour 2009 und so wissen wir, dass es hier guten Fisch gibt; stimmt immer noch.
Immer von dräuenden Wolken begleitet geht es weiter, mal auf Flussstrecken, mal auf Seen, am Finowsee unterfahren wir eine alte gedeckte Holzbrücke.
Jetzt noch den Priepertsee, noch ein Stück Havel und wir sind im Ellenbogensee, hier gleich scharf nach backbord und wir sind da beim Campingplatz Havelperle, ebenfalls von der Mecklenburg-Tour bekannt. Und der Regen hat uns jetzt auch erreicht, und wie: Zwei Stunden sitzen wir am überdachten Campingtisch, bevor wir die Zelte aufbauen können.
Montag, 25.06. Vom Ellenbogensee zum Stolpsee, 19km, 2 Schleusen
Wir starten bei Sonnenschein in Richtung Fürstenberg. Der Ellenbogensee ist wirklich ziemlich verwinkelt, wie ein angewinkelter Ellenbogen.
Durch weitere Flussstücke und Seen erreichen wir Fürstenberg, den größten Ort im weiten Umkreis. Wir machen hier eine längere Pause zum Sightseeing und Lebensmittel einkaufen. Nun noch eine Schleuse, dann durch einige kleine Seen und wir sind im Stolpsee. Den fahren wir vor kräftigem Wind der Länge nach Richtung Südost bis zum Camping Himmelpfort.
Dienstag, 26.06. vom Stolpsee zur Schleuse Regow, 13km, 2 Schleusen
Am nächsten Morgen hat der schöne Wind leider nicht nachgelassen, sondern eher noch zugenommen und steht weiter direkt auf unser Ufer.
Wir müssen hier irgendwie wegkommen und dann einen km gegen den Wind, bevor es nach backbord wieder in die Havel geht. Halb im Schilf und halb am Steg entlanghangelnd kommt ein Boot nach dem anderen schließlich vom Ufer los. Die Gegenwindstrecke ist dann nicht mehr so schlimm wie befürchtet, aber dann in der Havel haben wir vollständige Ruhe. Es ist auch gar nicht mehr weit bis zu unserem heutigen Ziel, einem Biwakplatz in der Nähe der Schleuse Regow. Ich war mir nicht sicher, was uns erwarten würde und hatte sicherheitshalber ein Sonnensegel (auch als Regensegel verwendbar) besorgt, um geschützt kochen zu können. Und dann kommen wir an einen wunderschönen Wiesenplatz, ein Dreieck zwischen Havel und einem Nebenarm mit einem überdachten Campingtisch und einem Platz für ein richtiges Lagerfeuer. Eine Gruppe Kanufahrer ist schon vor uns eingetroffen, aber wir arrangieren uns problemlos.
Nicht weit weg, direkt bei der Schleuse, gibt es den Capriolenhof, einen Biohof, der sich auf die Ziegenzucht spezialisiert hat. Wir probieren die Ziegenkäseplatte, so ein halbes Dutzend verschiedene Käsesorten, alle direkt vom Hof. Zusammen mit frischen Brot und Cidre oder Bier ein Hochgenuss.
Mittwoch, 27.06. von der Schleuse Regow nach Mildenberg 23km, 2 Schleusen
War die Gegend schon vor Fürstenberg sehr einsam, so gilt dies jetzt noch viel mehr. Östlich unseres Flusses liegt die Kleine Schorfheide, ein großes, weitgehend unbewohntes Waldgebiet, dessen direkt an die Havel grenzender Teil als Truppenübungsplatz genutzt wurde. An Land gehen wird hier nicht empfohlen. Wir erreichen schließlich die Kanustation Mildenberg, wo wir dank meiner DKV-Mitgliedschaft einen Rabatt bekommen. Die Baderutsche ist nicht nur für Kinder ein großer Spaß.
Katrin, Claudia und ich machen noch einen Spaziergang, der uns bis zum Ziegeleipark Mildenberg führt. Dies ist ein großes Freilichtmuseum, das die Ziegelherstellung von der Tongrube bis zum Abtransport der fertigen Ziegel zeigt. Die Gegend links und rechts der Havel zwischen Zehdenick und Mildenberg ist hier auf zehn km Länge eine Kette künstlicher Seen. Dies sind alles ehemalige Tongruben, Stiche genannt, aus denen gewaltige Mengen Ton gewonnen und an Ort und Stelle in großen Ringöfen zu Ziegeln gebrannt wurde. Zehdenick war Anfang des 20. Jahrhunderts das größte Ziegeleirevier Europas, halb Berlin wurde aus Zehdenicker Ziegeln gebaut.
Donnerstag, 28.06. von Mildenberg nach Oranienburg, 37km, 4 Schleusen
Heute geht es auf die längste Etappe, 37 km sind angesagt und dazu vier Schleusen. Die Sonne kommt auch wieder heraus und es wird so richtig warm.
Nach ca. 17 km legen wir in der Marina Liebenwalde an und eilen über die Straße zur Imbissgaststätte "Zum guten Happen". Ich möchte ja nicht wissen, wie der schlechte Happen in Liebenwalde schmeckt, wahrscheinlich kann man damit Ratten vergiften. Aber Kalorien und Flüssigkeit haben wir immerhin aufgenommen.
Die letzte Schleuse, schon kurz vor Oranienburg, ist eine (relative) Großschleuse, wir sind nämlich mittlerweile auf der Havel-Oder-Wasserstraße. Der Anruf beim Schleusenwärter zeigt, dass wir wohl eine dreiviertel Stunde warten müssen. Aber da gibt es ja eine Umtragemöglichkeit mit Gleislore, 200 m über Land. Bevor wir auch nur in die Schleuse eingefahren wären, haben wir beide Boote ins Unterwasser gebracht.
Und nun noch über den Lehnitzsee, und da am Ende auf steuerbord finden wir den Anleger des kleinen Oranienburger Wassersportvereins. Zur Abwechslung mal kein Zelt aufbauen! Dafür besucht uns am Abend ein Fuchs.
Freitag, 29.06. von Oranienburg nach Berlin, 21km
Heute fahren wir erst am frühen Nachmittag los, es ist ja nicht mehr weit bis Berlin zum RV Tegelort und wir haben keine Schleusen mehr vor uns. Marcus und ich machen eine Erkundungsgang durch die Stadt, während die anderen Wikinger faul in der Sonne liegen. Wir stoßen auf die Havel, d.h. den Fluss, während wir gestern auf einem Kanal gefahren sind, spazieren auf der Havelpromenade zum Schloss Oranienburg, den schönen Schlosspark lassen wir aus Zeitgründen aus, und dann geht es im Bogen durch die Innenstadt, die gerade weitgehend umgewühlt wird, wieder zurück zum Bootshaus. Nach der Hitze an Land ist es Zeit, wieder aufs Wasser zu gehen. Kurz hinter der Autobahnbrücke der A10 zweigt nach backbord ein Arm der alten Havel ab. Hier irgendwo soll das Bootshaus des SV Grün-Weiß Birkenwerder liegen. Wir biegen ein und sind in einer verwunschenen Welt aus Wasser, Bäumen, Seerosen und Licht. Aber wir finden und finden kein Bootshaus, nur Natur pur. Schließlich drehen wir um, da kommt uns auch schon das andere Boot entgegen und zwischen uns schwimmt ein Biber. Wie wir nach genauem Studium der Karte herausbekommen, sind wir eine Abzweigung zu früh abgebogen, aber sonst hätten wir keinen Biber gesehen.
Nach einer Rast im Gasthaus "Zum Weißen Schwan" passieren wir auf steuerbord das Stahlwerk Hennigsdorf und beim Eisenbahnwerk Bombardier Hennigsdorf geht es nach backbord in die Berliner Havelseen.
Beim RC Tegelort sind wir wie immer gut untergebracht, selbst die Isomatten brauchen wir nicht. Das abschließende Essen in einem Restaurant am Seeufer wird von einem gewaltigen Gewitter begleitet. Wie wir später erfahren, war es eines der schlimmsten seit Jahren.
Sonnabend, 30.06. Rundfahrt Tegeler See ohne Gepäck, 13km
Heute gibt es noch eine kleine Abschiedsrunde, einmal Tegeler See rund mit Einkehr beim Ruderclub Tegel. Bei schönstem Sommerwetter geht es in eine wunderschöne See- und Insellandschaft, dass man fast vergessen kann, dass wir in der größten Stadt Deutschlands sind.
Wir sind nun acht Tage hintereinander gerudert, aber von Erschöpfung keine Spur. Das liegt sicher daran, dass aufgrund der Unterkunfts- und Schleusensituation nur zumeist kurze Etappen gerudert werden konnten, so dass jeden Tag genügend Zeit zum entspannen und abschalten blieb. Außerdem waren wir ein gutes Team, obwohl noch nie in dieser Zusammensetzung auf Fahrt.
Rüdiger Schmidt
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