Jeder Wikinger weiß, was zu einer anständigen Wanderfahrt gehört:
Umständliches Besorgen eines Anhängers, Abriggern, Beladen, Verzurren, langwierige Anreise mit Bootstransport, Sorgen wegen Hochwasser, Bedenken wegen Niedrigwasser, Angst vor Starkwind. Schnarchige Bootshallen-Übernachtung auf harten Isomatten. Täglich wechselnde Übernachtungsorte, mehrtägiger Dauerregen, feuchter Zeltaufbau, Gemüseschnippeln auf Parkbänken, Gasgekochte Nudeln mit roter Sauce an Autobahnbrücke. Abwasch mit Spucke und Klopapier, unausgeschlafener Zeltabbau und Packen der Boote, endlich Ablegen, Warten vor Schleusen, alternativ Ausladen, Umtragen, Einladen. Einkaufstüten durch Kleinstädte schleppen. Kulturlastige Ruhetage, Unterhosenwäsche in der Küchenspüle, zuverlässiger Ausbruch des Fahrtenkollers am 5. Tag. Sturmtage, Bootsschäden, schale Witze, genervte Ruderkameraden. Verladen der Boote. Müde Kommentare während der Rückfahrt: "Tolle Tour! -- insgesamt.". "Ach doch, jaja, schon." Jetzt nur noch Boote abladen, reinigen, aufriggern, Hänger wegbringen, und dann wird es auch bald dunkel.
Dies alles hatten wir nicht. Schön war's im Salzkammergut.
Nachdem André leider kurzfristig Fahrtenleitung und Teilnahme absagen mußte, haben wir, d.h. vor allem Stefan, auf den begonnenen Planungen aufbauend die Organisation selbst übernommen. Da die Katze aus dem Haus war, wurde die Anreise als komfortable Bahnfahrt gestaltet mit Mietwagen ab Salzburg (genauer: ein Wagen für Rüdiger, Ulrich, Martin, eine Möhre für Katrin, Ulrich, Stefan).
Das Salzkammergut verteilt sich auf die österreichischen Bundesländer Salzburg, Oberösterreich und Steiermark, ist im Süden vom Dachstein begrenzt und läuft nördlich in hügeliges Voralpenland mit eiszeitlicher Seenlandschaft aus. Die bekanntesten Seen sind - nach Größe sortiert - Attersee (46,2 qkm ), Traunsee (24,4 qkm ), Mondsee (16,6 qkm ) und Wolfgangsee (12,8 qkm). Sie wurden von uns ebenso berudert wie der vergleichsweise kleine Grundlsee, der aber mit 4,2 qkm immerhin in der Steiermark der Größte ist.
Ziemlich genau in der Mitte der ganzen Gegend liegt Bad Ischl, Kur- und Kaiserort, durchflossen von der paddelbaren Traun und weit weg von jedem ruderbaren Gewässer. Dafür ist jeder der genannten Seen in 30 Minuten erreichbar, so dass sich die ganze Fahrt ohne Quartierwechsel gestalten läßt. Eine gemütliche Ferienwohnung mit drei Schlafzimmern, Küche mit allem Komfort, mit Geschirrspüler und Waschmaschinenzugang trug wesentlich zum Wohlbefinden bei. Fast durchgängiges Kaiserwetter tat ein übriges.
Der erste Tag bleibt ruderfrei. Wir fahren ins Ausseerland, wo der romantische Toplitzsee uns erwartet. Auf der Fahrt gibt eine erste ungefähr fünfminütige Probewanderung zu einem Aussichtspunkt mit Hallstätter Seeblick erste Hinweise auf die alpinistische Leistungsfähigkeit von Wanderruderern. Hier von Walrössern auf dem Jakobsweg zu fabulieren, verbietet das österreichische Urheberrecht. Wir fahren zum Ostende des Grundlsees und erreichen zu Fuß den Toplitzsee. Touristenkähne, sogenannte Plätten, bringen uns zu seinem Ostende, von wo nach kurzem Fußweg der Kammersee mit dem Traunursprung erreicht wird. Unterwegs erfahren wir noch Wissenswertes über den berühmten Toplitzseewurm, den es wirklich gibt, und versenktes Nazigold, das bisher nicht gefunden wurde.
Für die Rückfahrt folgen wir der Traun, die bald den Hallstätter See erreicht. Die Hallstattkultur, die uns dort erwartet, ist überraschend asiatisch geprägt, Tagestouristen aus aller Welt haben den schmucken Ort entdeckt und sorgen für gemischte Gefühle bei den Ureinwohnern. Wie allen Touristen würde auch uns der Ort ohne Touristen noch besser gefallen haben als ohnehin schon. Den Besuch der berühmten Salzbergwergswelten haben wir heute nicht mehr auf dem Programm.
Am nächsten Tag wird gerudert! Den Weg zum kleinen Bootshaus am Grundlsee kennen wir schon. Wir werden dort bereits erwartet und rudern bald unter kundiger Führung des örtlichen Ruderkameraden rund um den hübschen See, die lockende Bergkulisse immer im Blick.
Hinter Bad Aussee führt eine Panoramastrasse zur Loserhütte auf 1600 m Höhe mit schönem Ausblick auf Ausseer See unten und Dachstein in der Ferne. Den Losergipfel zu erreichen schaffen wir zeitlich nicht mehr (es musste schließlich auch noch gegessen werden), aber der kleine Augstsee und die Felsformation des Loserfensters sind auch ein schönes Ziel.
Der Montag ist dem Wolfgangsee gewidmet. Mehr noch als der Ort St. Wolfgang mit dem Weißen Rössl begeistert den einen oder anderen der berühmte spätgotische Flügelaltar des Michael Pacher. Der örtliche Hausberg ist der Schafberg, der bereits seit 1893 von einer Zahnradbahn erschlossen ist, und wer sich für historisches Eisenbahnzeug interessiert, nimmt die Bahn auch dann, wenn er nicht fußkrank ist. Oben angekommen liegen uns alle unsere weiteren Ruderseen zu Füßen.
Körperlich noch nicht gefordert, schließen wir eine Wanderung auf dem alten Pilgerweg zum Wallfahrtskirchlein am Falkenstein an. Innen befindet sich eine heilige Felsenge, durch die, wie es heißt, auch der Dickste passt, wenn er ohne Sünden ist. Die Dünnen passen auch so.
Sankt Gilgen am Wolfgangsee beherbergt in einem architekturpreiswürdigen Bootshaus den dortigen Ruderverein. Wir fahren natürlich den kompletten See aus, an der Falkensteinwand vorbei zur schmalsten Stelle (keine 200 m), weiter zum Weißen Rössl und nach Strobl am Ostende des Sees. Das Picknick findet im Boot statt, bevor über das Südufer der Rückweg angetreten wird. Und immer diese Hitze.
St. Gilgen ist die Heimat von Mozarts Mutter, Wohnort der Schwester, und entsprechend gibt es auch Nannerlbecher und Amadeusschnitten (si non è vero, è ben trovato) im Eiscafé. Zum Abschluß wieder eine Kurzwanderung: Diesmal ist es der Plomberg, der mit Seeblick lockt und über die Felssturzzone der Steinklüfte erreicht wird.
Allmählich werden die Seen größer. Nicht weit von St. Gilgen liegt der Mondsee, dessen S-förmige Gestalt wir bereits vom Schafberg aus sehen konnten, an seinem Ufer der Ort Mondsee, dessen uralte Abtei für den Kulturteil vorgesehen ist. Nebel quillt von der Scharflinger Höhe, löst sich aber auf, bevor er den See erreicht, und so genießen wir einmal mehr prachtvolles Spätsommerwetter. Immer die Drachenwand im Blick fahren wir über den See und suchen den Schatten, wo immer es geht. Zur Mittagspause ausgestiegen wird am Ende des Sees bei der Ortschaft See mit dem Gasthof See.
Es geht noch größer: Rudern auf dem Traunsee. Die Flagge des Gmundener Rudervereins hängt seit einem Besuch in Hamburg im Bootshaus. Zunächst pustet der Wind noch kräftig von den Bergen, aber sein Nachlassen ist vorhersehbar und tritt planmäßig ein. Wir haben uns Traunkirchen für den Landgang vorgenommen wegen der malerischen Lage am kapellenbestandenen Johannesberglein. Die Pfarrkirche beherbergt die prächtige Fischerkanzel, die mit allerlei silbernen und goldenen Seegetier den reichen Fischzug am See Genezareth darstellt.
Am südlichen Ende des Sees wird es doch noch etwas kabbeliger, aber sehr schnell kommen wir wieder in ruhiges Gewässer und können genussreich heimwärts rudern. Bei der Passage des großen Traunsteins schütteln manche den Kopf darüber, dass ein solcher Berg bestiegen werden kann und die ursprüngliche Planung das sogar für Wikinger vorgesehen hatte.
Später laufen wir noch über das sehenswerte Wasserschloß Ort in die Stadt, die von einer Laufsportveranstaltung mit nicht enden wollender Gute-Laune-Moderation geprägt ist. Das Glockenspiel am Rathaus hat es nicht leicht, sich Gehör zu verschaffen. Das Essen wird vertagt und erst in unserem Ferienquartier eingenommen.
Der letzte, der größte See wartet noch auf uns. Seewalchen ist der Hauptort am Nordende des Attersees, den wir wegen seiner Länge von fast 19 km nicht komplett ausrudern wollen. An der engen Stelle bei Steinbach soll abgekürzt, das fjordartige Südende also für dieses Mal ausgelassen werden.
Unser Pausenort Nußdorf liegt bereits auf dem Rückweg und bietet die Möglichkeit einer kleinen Wanderung, die mit wenig Aufwand großes Panorama über den ganzen See bietet.
Beim abendlichen Landgang konnte, wer nicht essen gehen wollte, noch Schloss Kammer näherkommen, sich mit Gustav Klimt befassen und etwas über die Pfahlbaukultur der Gegend erfahren.
Am Samstag nieselt es zunächst. Da trifft es sich gut, daß Bad Ischl noch Besichtigungsprogramm bietet. Vor allem die Kaiservilla ist natürlich für Freunde des Hauses Habsburg unverzichtbar. Als es klarer zu werden verspricht, entschließen wir uns noch zu einem Ausflug zu den reizvoll gelegenen Gosau-Seen, und tatsächlich wird zeitweise im Talschluß der Blick auf die Dachsteingletscher frei. Den hier eigentlich erwarteten Alpensalamander, Lurchis schwarzen Vetter, finden wir leider nicht. So ist die Stimmung dann etwas getrübt, und mit hängenden Köpfen --- kleiner Scherz! Der Salamander interessiert keine Sau, und alle sind bester Laune beim abschließenden Essen in Bad Ischl, während der Verfasser dieses Berichts zur Zubereitung eines schmackhaften Bratkartoffelgerichts durch den verkehrsberuhigten Ort zu unserer Wohnung rast.
Von der Rückfahrt ist wenig zu berichten, außer, dass die Versicherung den kleinen Lackkratzer an der Möhre problemlos übernommen hat.
Gerne erinnern wir uns an eine wunderbare Tour in atemberaubender Landschaft und an die gastfreundliche Aufnahme bei den Rudervereinen in Grundlsee, St. Gilgen, Mondsee, Gmunden und Seewalchen und danken noch einmal herzlich für die freundliche Betreuung. Damit nicht zu viele Nachahmer angelockt werden, mussten wir versprechen, nicht allzu begeistert von der Fahrt zu berichten. Ich habe mich bemüht.
Martin Meyer-Wyk
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