Diese Runde kann bei allen Tidenverhältnissen unternommen werden, da sie größtenteils stromlos und verkehrsarm ist. Es ist nur darauf zu achten, daß unser Bootssteg anderthalb Stunden vor bis eine Stunde nach Niedrigwasser kein Wasser hat. Außerdem muß wegen eingeschränkter Schleusenbetriebszeiten an einem Montag, Dienstag, Donnerstag oder Freitag rudern und bis spätestens 17 Uhr abgelegt haben.
Danach kommt man auf die Norderelbe, welche man direkt überquert und in den sich gegenüber öffnenden Kanal einfährt. Vorsicht: Gegenverkehr von backbord; bei ablaufendem Wasser zieht die Strömung unter die Neue Elbbrücke. Hat man den Kanal erreicht, hält man sich nach backbord, unterquert ein Gewirr von über- und hintereinander gestaffelten Eisenbahnbrücken, peinlich genau im ausgewiesenen Fahrwasser, und sieht dann an steuerbord die Schleuse Brandshof. Es empfiehlt sich, vor Fahrtantritt sich beim Schleusenwärter anzukündigen. Zum einen ist Brandshof keine zehn Minuten vom Steg entfernt und die Schleuse arbeitet sehr langsam. Zum anderen fällt die Schleuse oft aus, nämlich immer dann, wenn eine Grippewelle das zusammengeschrumpfte Häufchen an Schleusenpersonal kollektiv in die Waagerechte zwingt. In die Schleuse eingefahren, muß einer aus der Mannschaft die Leiter hochklettern, und die Schleusung bezahlen. Das ist nicht teuer, aber gerade bei der Brandshofer Schleuse ein unbequemes Ärgernis.
Hinter Brandshof hält man sich zweimal backbord, unterquert dabei weitere Eisenbahn- und Straßembrücken. Auffällig ist an backbord eine dampfende, zischende Stärkefabrik. Für sie wird der Schleusenbetrieb aufrecht erhalten, und oft liegen hier Leichter, manchmal auch Schubverbände.
Direkt hinter der Fabrik hält der Steuermann wie gesagt, ein zweites Mal nach backbord, während an steuerbord der zweite Betrieb, ein Betonwerk, steht, der von der Schleuse abhängig ist. Bisweilen kann man beobachten, wie die Sandfracht von Schubverbänden gelöscht wird. Damit hat man die Schiffsbewegungen zum größten Teil hinter sich.
Wenn man hier also nach steuerbord abbiegt, kommt man in das Hochwasserbassin, rückwärtig zum Heidenkampsweg gelegen. Der ist die Hauptstraße des Dienstleistungs- und Gewerbeviertel City Süd, und nach Jahren einfacher Nachkriegsbauten prägt jetzt aufwendigere Architektur den aufstrebenden Stadtteil. Der Berliner Bogen hat sogar schon einen Architekturpreis gewonnen. Man erblickt sein gigantisches gläsernes Tonnengewölbe am Ende des Hochwasserbassins.
Wir biegen jedoch vorher, in den zweiten Kanal, den Mittelkanal, an steuerbord ab. Am Anfang stehen Industriebauten, teilweise noch von vor dem Krieg und als Kuriosum ein meist von Motorbooten belegter Steg von MacDonald's. Die hiesige Filiale ist das einzige Schnellrestaurant Hamburgs mit Wasseranschluß.
Weiter den Kanal durch ragen angegammelte Arbeiterwohnblöcke steil an der Wasserkante auf. Es handelt sich um das Osterbrookviertel, das nach den Planungen nach dem Zweiten Weltkrieg der City Süd weichen sollte, und jetzt eines der wenigen Beispiele eines Stadtviertels ist, in dem Arbeiten und Wohnen eng verzahnt sind. Mittlerweile ist das in der Stadtplanung wieder modern und mit dem Pradikat "Metrozone" geadelt worden.
Die nächste Möglichkeit, nach steuerbord abzubiegen, nutzen wir. Der Kanal knickt im rechten Winkel ab und ist völlig uneinsichtig, doch kommen nur selten hier Motorboote aus der Gegenrichtung. Wir folgen diesem Kanal, biegen aber kurz darauf die nächste Möglichkeit nach backbord ab. Das hübsche, braune Bootshaus eines Motorbootvereines mit rot-weißen Fensterläden an backbord und eine violettes, verschnörkeltes Hausboot an steuerbord markieren die Stelle.
Ein weiteres Mal ändert sich die Szenerie. Jetzt fahren wir mitten durch eine Schrebergartensiedlung, deren Häuschen sich oft auch für einen dauerhaften Aufenthalt eignen. Insbesondere die wasserseitigen Grundstücke mit Steg und eigenem Boot sind sehr beliebt und werden mit Zähnen und Klauen gegen die immer wieder aufkommenden Begehrlichkeiten der Immobilienunternehmen verteidigt. Der gewundene Gewässerverlauf ist natürlich. Es handelt sich um die Bille, die wir schon zu Anfang hinter der Schleuse ein kleines Stück befahren haben. Leider ist sie unterwegs abgedämmt, so daß man von hier aus nicht mehr bis zu ihrem Mittellauf in Bergedorf rudern kann.
Wenn es geradeaus nicht mehr weitergeht, biegen wir nach backbord ab und unter einer Eisenbahnbrücke hindurch. Dahinter biegen wir die erste Möglichkeit nach steuerbord ab. Damit verlassen wir wieder die Bille und folgen immer weiter dem Tiefstackkanal. Wir befinden uns wieder in einem Industriegebiet. An steuerbord schleichen Autofahranfänger über einen Verkehrsübungsplatz, backbord steht die Müllverbrennungsanlage und das Kraftwerk Tiefstack. Hinter einer Kurve stoßen wir auf die gleichnamige Schleuse. Das Schleusen ist hier unproblematisch; für den seltenen Fall, daß man doch nicht vom Wärter bemerkt wird, hängt eine Informationstafel mit der Telephonnummer da.
Hinter der Schleuse kommen wir in die Billwerder Bucht. Ihr gewundener Verlauf stellt das ursprüngliche Flußbett der Norderelbe vor der Flußbegradigung dar. Ab hier ist man wieder im Tidenbereich. Sollte man gerade Gegenstrom haben, ist die Tatsache tröstlich, daß es nur noch zweitausend einhundert Meter, also eine Regatta mit Anlauf bis zum Bootssteg ist. Aus der Schleuse kommend hält man voraus auf ein rot gestrichenes Sturmflutsperrwerk zu. Es ist nach der Sturmflut von 1962 erbaut worden. An backbord liegen diverse Motorboote an Stegen, und eine Werft, an steuerbord ragt ein altes, hohes, backsteinerne Denkmal der Industriearchitektur des neunzehnten Jahrhunderts auf.
Hinter dem Sperrwerk erreichen wir wieder die Norderelbe. Steuerbord voraus liegen die Pontons des Binnenschiffzollamtes mit ihren grünen Holzbaracken. Hier mußten die Elbschiffer zur Kontrolle anlegen, bevor sie in den Freihafen einfahren durften. Heute nutzt ein Künstler das schwimmende Anwesen, und alte Hafenfähren und andere ausgemusterte Schiffe liegen davor. Man fährt an den Zollpontons vorbei, bei Gegenverkehr mit halber Kraft, und quert danach schnurstracks den Strom. Insbesondere bei ablaufendem Wasser ist das wichtig. Tut man es nicht, wird man an der Einfahrt zum Marktkanal und zu unserem Bootshaus vorbeigetrieben.
André Gesche
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